Psychotherapie Meerbusch – Ismeta Radaj

Warum wir immer wieder in toxische Beziehungen geraten

Wir sind Bindungswesen.
Beziehung ist ein 
biologischer Imperativ – ein zentraler Bestandteil unseres Menschseins.
Wir brauchen Verbindung, um zu 
wachsen, zu heilen und uns zu entwickeln.

Eine Beziehung ist mehr als ein Konstrukt – sie ist ein Gefühl zwischen zwei Menschen, verbunden durch ein flexibles Band, das über Zeit und Raum hinauswirkt.
So beschreibt es der Polyvagal-Theoretiker 
Stephen Porges – und genau das macht Beziehung so kostbar, aber auch so herausfordernd.

Wenn Beziehungen mehr Schmerz als Freude bereiten, ist das meist kein Zufall. Oft steckt dahinter ein unbewusstes Bindungsmuster, das in der frühen Kindheit entstanden ist

 

Vor allem Menschen mit einem Bindungs- und Beziehungstrauma erleben in Partnerschaften oft eine Wiederholung alter Verletzungen. Nicht weil sie es wollen – sondern weil ihr Nervensystem noch immer Schutz sucht, auf die einzige Weise, die es kennt.

Und doch liegt in genau diesen Beziehungen auch die größte Chance zur Heilung – wenn wir verstehen, was in uns wirkt.
Denn in jedem von uns ist die Fähigkeit zu sicherer Bindung angelegt, auch wenn sie in einem bestimmten Moment nicht fühlbar ist.
Sie kann 
reaktiviert werden, durch Bewusstsein, Mitgefühl und Begleitung.

 

Was ist ein Bindungstrauma?

Ein Bindungstrauma entsteht, wenn wir als Kind in der Beziehung zu unseren engsten Bezugspersonen nicht feinfühlig das bekommen haben, was wir gebraucht hätten, um ein gesundes Selbstgefühl zu entwickeln:
Emotionale Nähe, Schutz, Spiegelung, sichere Führung, aber auch ein Gegenüber, das 
uns wirklich sieht.

Stattdessen mussten wir uns vielleicht früh anpassen, stark sein, uns zurücknehmen, funktionieren – oder unvorhersehbare Reaktionen aushalten. Denn alleine konnten wir als Kind nicht überleben.


Wir lernen dann:

„Ich bin nur sicher, wenn ich nicht spüre, was ich brauche.“
„Ich bekomme Aufmerksamkeit, wenn ich mich anstrenge, funktioniere oder alles für andere tue.“

Das Nervensystem verankert diese Muster tief – und reagiert auch im Erwachsenenalter noch genauso, wenn es um Nähe, Bindung und Beziehung geht. Weil die kindlichen Bedürfnisse ungestillt ungeachet des Alters in uns aktiv sind.

Wieso wiederholt sich unser Bindungsmuster in Beziehung: Ist das ein Zufall?

Nein, es ist kein Zufall, denn unser Bindunsstil bestimmt unser denken, handeln und fühlen.

In der Psychologie sprechen wir von verschiedenen Bindungsstilen. Besonders im Kontext von Trauma treten diese zwei häufig auf. Der desorganisierte Bindungsstil ist ebenfalls bedeutsam, wird hier jedoch nicht vertieft.

 

· Unsicher-ambivalente Bindung: Nähe wird gewünscht, aber auch gefürchtet. Menschen mit diesem Bindungsstil sind oft emotional sehr präsent, sehr bemüht um Beziehung, aber auch ängstlich, schnell verletzt oder fordernd. Dahinter steckt oft eine Erfahrung von emotionaler Unzuverlässigkeit der Bezugspersonen in der Kindheit.

 

· Unsicher-vermeidende Bindung: Nähe löst Unwohlsein oder Rückzug aus. Gefühle werden abgespalten, Bedürfnisse kaum benannt. Diese Menschen wirken oft „cool“ oder unabhängig, haben aber gelernt, dass sie auf sich allein gestellt sind und Nähe nicht sicher ist.

 

Wenn nun ein Mensch mit ambivalentem Stil auf jemanden mit vermeidendem Stil trifft, entsteht oft eine magnetische

 

Anziehung und Sehnsucht – doch gleichzeitig ein Drama:

In manchen Beziehungen zeigt sich ein vertrautes, aber schmerzhaftes Muster:
Einer kämpft um Nähe – der andere zieht sich zurück.
Der eine strengt sich an, fühlt intensiv, versucht alles richtig zu machen. Der andere fühlt sich schnell überfordert und zieht sich in den Rückzug.

Beide erleben Schmerz. Beide fühlen sich unverstanden. Und doch ist da eine tiefe, stille Sehnsucht nach Verbindung.

Für Menschen mit einem ambivalenten Bindungsstil ist es oft so: Ein Partner, der einfach da ist, sich nicht entzieht, nicht kämpft, sondern ruhig und verlässlich bleibt – wirkt uninteressant oder sogar bedrohlich.
Denn: In einem Raum, wo man 
nichts tun muss, um Liebe zu bekommen, fehlt zunächst jede innere Orientierung. Es existieren (noch) keine neuronalen Netzwerke für die Erfahrung:

„Ich bin genug. Ich bin liebenswert, ohne mich zu überfordern.“

Stattdessen ist „Liebe“ häufig mit Anstrengung, Verlustangst und emotionaler Hochspannung verknüpft. Nur wenn man etwas tutleistetsich sorgt oder verzichtet, fühlt sich das Nervensystem sicher – weil es das kennt.

Doch das ist kein persönliches Versagen.
Es bedeutet nicht, dass etwas mit dir nicht stimmt – sondern dass du bisher nicht die Erfahrung machen konntest, dass du nichts tun musst, um geliebt zu werden. Dass du genügst, so wie du bist. Ohne Kampf. Ohne Drama. Ohne Krankheit.

Diese tief verwurzelten Muster können sich verändern – durch Bewusstheit, sichere Beziehungserfahrungen und professionelle Unterstützung.
Nicht, weil du „repariert“ werden musst – sondern, weil Nähe, Verbindung und Behziehung Dein biologischer Imperativ ist, ohne dich dafür zu verlieren.

Ein Fallbeispiel aus meiner Praxis

Eine Frau kam zu mir, deren Geschichte mich tief berührt hat. Schon in ihrer Kindheit war sie emotional nicht wirklich da – nicht, weil sie nicht fühlte, sondern weil niemand sie wahrnahm. Vater und Mutter selbst schwer traumatisiert und offentlich überfordert. Der Vater sah sie nicht bis heute „kennt er sie nicht“, ihre Mutter war liebevoll aber sehr streng und arbeitete so wie auch der Vater sehr viel. Also übernahm sie früh Verantwortung für die kleineren Geschwister, organisierte, funktionierte.

Sie lernte:

„Ich bin nur sicher und wertvoll, wenn ich für andere da bin.“
Und: „Meine Bedürfnisse haben keinen Platz.“

Später im Leben zog sie immer wieder Männer an die sie nicht sahen. Somit tat sie alles um gesehen und angenommen zu werden weil die Sehnsucht nach dem Urbedürfnis nach Verbindung war stark ausgeprägt.
Die letzte Beziehung gab ihr den Rest. Auf der einen Seite wusste sie:

„Das erfüllt mich nicht.“ Und doch blieb sie.
Er war dominant, innerlich unaufgeräumt – aber auch liebevoll, solange sie keine eigenen Bedürfnisse äußerte.

Sie bekam körperliche Symptome – das Nervensystem war im Alarmzustand.
Als sie sich trennte, brach eine Welt zusammen. 
Nicht weil sie schwach war – sondern weil das alte Bindungssystem implodierte.
Die Angst, wieder alleine zu sein. Die Scham, gescheitert zu sein. Die Sehnsucht, endlich gesehen zu werden.

Und dann begann sie ihre eigentliche Reise.
Nicht nach außen – sondern 
nach innen.

Sie lernte, sich selbst zu spüren. Ihre Grenzen zu setzen. Ihre Bedürfnisse nicht mehr zu verstecken. Sie lernte sich selbst kennen.
Und irgendwann merkte sie: ‚Ich werde nicht mehr übergangen – weil ich mich selbst nicht mehr übergehe.‘ Heute spürt sie Stabilität und nimmt ihren Platz im Leben ein – weil sie ihn sich selbst gegeben hat.

 

Was bedeutet das für Dich

Wenn Du Dich in solchen Geschichten wiedererkennst, dann suche die Schuld nicht bei anderen – aber glaube auch nicht, dass Du selbst falsch bist. Du bist nicht zu schwierig, nicht zu viel und Du trägst keine Schuld an den Mustern, die sich wiederholen. Du bist genau richtig, so wie Du bist. Diese wiederkehrenden Beziehungserfahrungen haben einen Sinn – sie sind Ausdruck einer prägenden Erfahrung aus Deiner Kindheit, an die Du Dich vielleicht bewusst gar nicht erinnern kannst. Dein System hat Dich auf die einzige Weise geschützt, die ihm damals zur Verfügung stand.
Doch heute darfst Du lernen, neue Wege zu gehen. Heute darfst Du erleben, dass es auch anders geht – sicher, liebevoll, verbunden.
Es ist möglich. Und es ist nie zu spät.