Psychotherapie Meerbusch – Ismeta Radaj

Wenn der Körper spricht – Trauma, Sexualität und der stille Ruf nach Verbindung

Es gibt Menschen, die lieben intensiv, sehnen sich nach Nähe, suchen Berührung – und trotzdem fühlen sie dabei nichts.

Manche erleben Sexualität wie in einem Vakuum: Der Körper funktioniert, vielleicht sogar sehr gut – doch innerlich bleibt es leer, kalt oder unerfüllt. Andere wiederum brauchen sehr viel Sex, fast zwanghaft – nicht aus Lust, sondern um sich überhaupt noch irgendwie zu spüren.

 

In meiner therapeutischen Arbeit berichten mir Männer von schleichenden Erektionsstörungen – nur bei bestimmten Partnerinnen, oder in bestimmten Momenten. Frauen, die keinen Orgasmus erleben, obwohl sie ihren Partner lieben. Oder junge Menschen, die über Pornografie oder flüchtige Begegnungen versuchen, einer inneren Leere zu entkommen, die sie kaum benennen können.

Was sie alle gemeinsam haben: Ihr Körper spricht – aber nicht in Lust, sondern in Symptom. Hinter diesen Erfahrungen liegt oft ein stiller Ruf: nach Verbindung, nach Sicherheit, nach einem echten Spüren.

 

Doch wenn Trauma im Spiel war – frühe Überforderung, emotionale Vernachlässigung, Missbrauch oder ein ständiges Funktionieren-Müssen – dann wird der Körper vorsichtig. Manchmal taub. Manchmal überaktiv. Aber nie grundlos.

Das ist doch normal, oder?

Viele Menschen erleben Sexualität heute in einer Weise, die ihnen selbst kaum noch auffällt – weil sie sich daran gewöhnt haben oder weil es eben „so läuft“. Besonders in langfristigen Beziehungen zeigt sich häufig ein unausgesprochenes Ungleichgewicht: Nicht unbedingt in der Häufigkeit sexueller Begegnungen, sondern in der Art, wie sie erlebt – oder genutzt – werden.

 

In meiner Praxis berichten mir Frauen oft, dass ihr Partner sehr häufig Sex möchte – so häufig, dass sie sich unter Druck fühlen. Wenn sie nicht mitmachen, ziehen sich die Männer zurück oder suchen sexuelle Befriedigung über Pornografie oder außerhalb der Beziehung. Manche Frauen machen trotzdem mit, obwohl sie keine Lust verspüren – aus Angst, nicht zu genügen, als Partnerin zu versagen oder am Ende verlassen zu werden. Viele denken: „Das ist halt normal – Männer sind halt so.“ Doch innerlich fühlen sie sich überfordert, einsam oder funktionalisiert.

 

Auch Männer sind nicht frei von Leidensdruck – selbst wenn die Gesellschaft ihnen oft anderes zuschreibt. Viele berichten von sexuellen Funktionsstörungen: Der Körper funktioniert nicht so, wie sie es möchten – die Erektion bleibt aus, der Orgasmus kommt zu früh oder gar nicht, obwohl Erregung da ist. Sexualität wird dann nicht mehr als etwas Verbindendes erlebt, sondern als etwas, das „funktionieren muss“.

Manche sagen, sie bräuchten Sex ständig – weil „Männer eben so sind“. Doch wenn man tiefer schaut, fehlt oft das eigentliche Gefühl von Lust. Stattdessen ist da ein innerer Druck, der sich entladen will – um überhaupt kurz Ruhe zu finden. Der Körper reagiert nicht mit Freude, sondern mit Anspannung.

 

Wenn Sexualität zur Pflicht wird – oder zur einzigen Möglichkeit, sich selbst noch irgendwie zu spüren –, verliert sie ihre Wärme. Und das tut etwas mit einem Menschen und hinterlässt Spuren.

Die Medien tragen ihren Teil dazu bei. Dort ist ständig die Rede von Libido, Testosteron, Leistung und Reizen. Die Vorstellung, dass sexuelles Begehren jederzeit verfügbar und erfüllbar sein sollte, macht es schwer, eigene Grenzen zu spüren – oder zu akzeptieren, dass keine Lust auch ein Signal des Körpers ist.

 

Doch was, wenn das, was wir für „normal“ halten, in Wahrheit ein Ausdruck von innerer Unruhe ist? Was, wenn die scheinbare Triebstärke weniger mit Lust als mit einem alten Überlebensmuster zu tun hat?

Wenn Nähe unsicher wird – Was das Nervensystem mit unserer Sexualität macht

Vielleicht kennst Du das Gefühl: Hier wächst nichts mehr, die Liebe ist nicht mehr wie früher. Und doch bleiben wir. Warum?

Um zu verstehen, warum Sexualität manchmal zum reinen Spannungsabbau wird – oder gar nicht mehr funktioniert –, lohnt sich ein Blick in unser Nervensystem. Die Polyvagal-Theorie, entwickelt vom US-amerikanischen Neurowissenschaftler Dr. Stephen Porges, beschreibt, wie unser autonomes Nervensystem auf Stress, Sicherheit und zwischenmenschliche Nähe reagiert. Sie erklärt, warum wir in manchen Momenten offen und verbunden sind – und in anderen erstarren, kämpfen oder flüchten.

Sexuelle Erregung braucht ein Mindestmaß an innerer Sicherheit. Sie ist ein Zustand, in dem der Körper sich hingebendarf. Doch viele Menschen leben nicht in diesem Zustand – sondern in einem permanenten Alarmmodus, der meist gar nicht bewusst wahrgenommen wird. Ihre Körper sind angespannt, die Gedanken unruhig, die Verbindung zum Gegenüber brüchig. Und so wird Sexualität nicht mehr als Begegnung erlebt, sondern als Entladung. Als Mittel, um überhaupt etwas zu spüren – oder für einen Moment Ruhe zu finden.

 

Laut der Polyvagal-Theorie gibt es drei grundlegende Reaktionsweisen unseres Nervensystems:

  • Ventrale Vagus-Aktivität – der Zustand von Sicherheit, Verbindung, Offenheit. Hier kann Sexualität lustvoll, genussvoll und verbunden erlebt werden.
  • Sympathische Aktivierung – der Zustand von Kampf oder Flucht. Hier entsteht Anspannung, Druck, Gier – Sexualität wird zur Leistung.
  • Dorsale Vagus-Aktivität – der Zustand des Rückzugs oder der Erstarrung. Hier ist kaum noch Gefühl da, das Erleben wird taub oder leer.

Viele Betroffene pendeln – oft unbewusst – zwischen diesen Zuständen. Sie wollen Nähe, aber der Körper sendet Gefahrensignale. Oder sie funktionieren sexuell, ohne sich dabei wirklich zu spüren. Frauen berichten, dass sie „abschalten“, während sie mit ihrem Partner schlafen. Männer merken, dass sie nur durch extreme Reize – etwa durch Pornografie, Partnertausch und Ähnliches – überhaupt noch Erregung empfinden. Der Körper funktioniert – aber er ist nicht wirklich da.

 

Was dabei oft übersehen wird: Es ist nicht die Libido, die fehlt. Sondern die Sicherheit.

Wir sind nicht nur Liebende – wir sind auch verletzte Kinder, geprägt von Erfahrungen, die uns manchmal fesseln. Vielleicht hast Du es selbst erlebt – Du gibst so viel, Du wartest auf den Blick, das Wort, die Geste, die sagt „Ich sehe Dich“. Aber das bleibt aus. Und trotzdem klammern wir oder halten fest – aus Angst vor dem Alleinsein, aus Hoffnung, dass es doch noch wird, oder aus einem tiefen Glauben, dass Liebe Geduld braucht.

 

Es gibt zahlreiche Postings, die uns suggerieren: „Dein Partner ist nur Dein Spiegel, arbeite an Dir, sei geduldig, sei spirituell, wachse über Dich hinaus – dann wird alles gut.“ Doch was, wenn genau dieses „über sich hinauswachsen“ zu einer Falle wird? Zu einem toxischen Verständnis, das uns glauben lässt, wir müssten alles ertragen, nur um ja nicht zu scheitern oder damit der Partner doch noch irgendwann einmal sein Potenzial entfaltet?

Selbstoptimierung ist wichtig – aber nicht um jeden Preis. Verlier nicht deine Grenzen und vergiss dich nicht selbst. Liebe heißt nicht, sich zu verbiegen, sondern ehrlich zu sich zu sein. Wer möchtest Du in dieser Beziehung wirklich sein? Was brauchst Du, damit Dein Herz in Deinem Tempo öffnen kann?

 

Frust und Schmerz kommen oft daher, dass wir uns zwar verbunden fühlen wollen, aber nicht wirklich gesehen werden. Dass wir unsere Bedürfnisse nicht aussprechen oder nicht gehört werden. Und genau hier beginnt eine wichtige Frage: Wie können wir liebevoll mit uns und dem anderen sein – ohne uns selbst aufzugeben?

Raus aus dem Teufelskreis – Sicherheit als Heilung

In der traumasensiblen Psychotherapie arbeiten wir nicht immer direkt mit dem Ursprung des Traumas. Das ist in vielen Fällen auch gar nicht notwendig. Es kann hilfreich sein, zu erkennen, woher bestimmte Muster kommen – allein diese Selbsterkenntnis kann bereits eine Form der Heilung einleiten.


Aber: Der entscheidende Schritt geschieht im Körper. Denn was über Jahre hinweg das Nervensystem überfordert oder aus dem Gleichgewicht gebracht hat, braucht Zeit, Geduld und gezieltes Training – so wie ein Muskel, den Du wieder aufbaust.

Heilung ist kein kognitiver Akt, sondern ein biologischer Prozess.

 

Statt in der Vergangenheit zu graben, lernen wir, im Hier und Jetzt Sicherheit zu spüren. Wir trainieren das Nervensystem darauf, wieder zwischen Gefahr und Geborgenheit unterscheiden zu können – und damit die Angst im Körper durch ein Gefühl von Sicherheit zu ersetzen. Denn:

Angst und Sicherheit erzeugen im Körper völlig unterschiedliche Botenstoffe.
Während Angst u.a. Cortisol und Adrenalin ausschüttet – Stoffe, die uns in Dauerstress versetzen, versorgt Sicherheit den Körper mit beruhigenden und bindungsfördernden Neurotransmittern wie OxytocinSerotonin und Endorphinen.
Diese Stoffe sind wie „innere Medizin“: Sie lassen uns durchatmen, entspannen, Verbindung spüren – und machen es überhaupt erst möglich, Sexualität, Nähe und Körperempfindungen als etwas Angenehmes zu erleben.

 

Die Veränderung ist kein Kraftakt – es sind konsequente kleine Schritte:

  • tägliches Üben
  • kleine Dosen von Entspannung
  • bewusste Selbstfürsorge
  • und die Bereitschaft, sich langsam auf Veränderung einzulassen

 

Hier ein paar einfache Übungen, die Du ausprobieren kannst:

  • Atemübung „Vagus-Atmung“:
    Setze oder lege Dich bequem hin. Atme tief und langsam durch die Nase ein (4 Sekunden), halte den Atem kurz (2 Sekunden), und atme langsam durch den Mund aus (6 Sekunden). Diese verlängerte Ausatmung aktiviert den Vagusnerv und fördert Entspannung.
  • Soziale Verbindung stärken:
    Schau Dich im Spiegel an und lächle Dich bewusst an – auch wenn es anfangs ungewohnt ist. Freundliche Gesichter signalisieren Deinem Nervensystem Sicherheit. Ebenso hilft es, in Kontakt mit nahestehenden Menschen zu treten, um das Gefühl von Verbundenheit zu stärken.
  • Sanfte Bewegung und Körperwahrnehmung:
    Langsame Yoga- oder Dehnübungen (z. B. sanfte Drehungen der Wirbelsäule, Brustöffnung, achtsames Spüren der Hände und Füße) helfen, aus der Erstarrung zu kommen und den Körper wieder lebendig zu spüren.
  • Achtsamkeit für das Hier und Jetzt:
    Fokussiere Dich auf Deine Sinne: Was hörst Du, riechst Du, fühlst Du gerade? Diese Übung hilft, den Geist aus Grübeleien zu holen und im Körper anzukommen.

 

Wenn du merkst, dass dich das Thema berührt, darfst Du wissen: Du bist nicht allein. Gerne begleite ich Dich ein Stück auf diesem Weg – mit Respekt für Deine Geschichte und Vertrauen in Deine Kraft.